Ein leichtes Rad zum 5. Geburtstag

Meine Tochter Paula war 4 Jahre alt, hatte schon viel Fahrraderfahrung gesammelt und besaß ein 16“ Puky-Einfachst-schlecht-Rad. Da sie eher großgewachsen ist und das Puky diverse Schäden aufwies, beschloß ich im Februar 2009, dass sie zu Ihrem 5. Geburtstag am 1. Juli ein neues, diesmal richtiges Rad bekommen sollte.

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Die Idee

Da ich mich durch die Arbeit im Verein schon lange, oft zusammen mit anderen, über die mangelnde Qualität der handelsüblichen Räder, über ihre misslungene Geometrie und über das meist horrende Gewicht aufgeregt hatte sollte der Selbstaufbau möglichst viel von den Kritikpunkten vermeiden. Außerdem sollte das Rad möglichst lange halten, da Paula das Rad wahrscheinlich 3 Jahre nutzen wird und dann ihre Schwester in den Startlöchern steht, also 6 Jahre Nutzung in der Familie gesichert sind, die sich eventuell auf 9 Jahre verlängern wird und damit die Lebenszeit eines Erwachsenenrades erreicht. Und ein späterer Verkauf sollte nicht ausgeschlossen werden.

Die Planung

Zunächst ging die Suche nach einem passenden Rahmen los. In dem Radladen, in dem ich arbeite, konnte ich mir einen Überblick verschaffen und fand schnell heraus, dass eigentlich alle Hersteller nur Kompletträder anbieten oder der Rahmeneinzelpreis utopisch hoch ist.

Nach langem Überlegen entschloß ich mich doch für den Velotraum K1-Rahmen mit Alugabel, da mich zum einen das Gewicht (1,6kg) überzeugte, zum anderen die Geometrie wirklich kindgerecht gehalten ist: relativ niedriges Tretlager, langes Oberrohr, hohes Steuerrohr, langer Radstand, und empfohlen für ca. 6-10 Jahre. Der Kaufpreis von 340Euro klingt erstmal viel, ist aber bei der angedachten Nutzungszeit durchaus mit einem „großen“ Rad vergleichbar, wenn nicht sogar günstig.

Als nächstes kamen in der Planung der von Anfang heikelste Punkt: die Kurbeln. Es gibt einen Hersteller, der relativ gute Kinderkurbeln anbietet (Samox), die in Deutschland aber nur über 5 Ecken zu bekommen sind und ca. 90Euro kosten, ohne Kettenblatt, dafür in beliebiger Länge. Da ein Vereinsmitglied schon für seinen Sohn Kurbeln gekürzt hatte und ich auch im Internet positive Erlebnisse gelesen hatte, opferte ich einen Satz alte, optisch nicht mehr soo schöne Deore DX- Kurbeln, da sie einerseits als fast unverwüstlich gelten, andererseits geschmiedet und daher gut zu bearbeiten sind. Also, neue Pedalgewinde bei 125mm reingeschnitten und dann gefeilt und poliert… In einer seltsamen Anwandlung hatte ich nach der Lektüre des Buches Fahrradtuning von Herrn Smolik beschlossen, die Kurbeln so leicht als möglich zu machen. Was generell gelang, aber mit viel Arbeit, Nerven und Dreck verbunden war (und in den Vereinsräumen auch zu Unmut führte…).

Aber das Ergebnis hat mich begeistert.

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Danach waren die Laufräder als weitere Leichtbauvarianten dran. Zuerst wurde schnell und einfach die Nabenfrage geklärt: kein Rücktritt, da Paula schon immer die Handbremse lieber genutzt hatte (Papas Erziehung…), die Möglichkeit, eine einfache Kettenschaltung nachrüsten zu können und im Interesse des Leichtlaufs gute Lager. In meiner manchmal doch sortierten Garage fanden sich schnell noch alte 36 Loch XT- Naben, mit 7fach Freilauf, seit Jahren ungenutzt, also ideal zum jetzt Verbauen.

Durch stundenlange Internetlektüre stieß ich auf einen Spezialspeichenversand für Liegeräder und kam zu der Erkenntnis, dass meine Tochter mit etwa 8 Jahren um die 35kg wiegen wird und eine einfache Kastenfelge ihren Belastungen vollauf gerecht wird. Die Einspeichart sollte den vorhersehbaren Belastungen gerecht werden, 3fach gekreuzt erschien mir völlig übertrieben. Nach langem Hin und Her entschied ich mich für die wahrscheinlich leichteste und an diesem Rad auch NOCH vernünftigste: vorne radial, rechts 9, links 9 Speichen, am Hinterrad, wo ja doch bissl Belastung zu erwarten ist, rechts alle 18 Speichen 2fach gekreuzt, links wieder 9, wieder radial…

Da jetzt aber langsam das Designkonzept in Richtung silber poliert ging (Naben, Kurbeln, Vorbau), die Felgen aber nur in matt lieferbar und zudem 30g schwerer als vom Hersteller angegeben, wurden sie einfach, dank gestiegener Erfahrung, um 40g erleichtert und poliert.

Beim Bau der Laufräder durfte Paula helfen, das Radialeinspeichen war schnell erklärt und ging auch problemlos, was den Papa sehr freute.

Die Räder sollten ja leicht bleiben, und rotierende Masse ist kleinzuhalten, deswegen kamen auf die Felgen Gewebeband, Schwalbe extralight Schläuche (das Nachpumpen ist vertretbar selten) und Marathon Racer in Faltversion, die ich ohne Probleme 2 Jahre als Fahrradkurier gefahren war.

Der Aufbau

Das Grundgerüst stand also, die restlichen „Kleinteile“ waren schon überlegt: Bremshebel mit kindgerechtem Design von Velotraum (naja, eigentlich no-name, die von Tektro und XLC sind identisch, wusste ich aber vorher nicht), LX-V-Brakes ohne Parallelogramm (BR-M580,lagen griffbereit in erwähnter Garage und funktionieren einfach), Gepäckträger von Velotraum, da mit 2 Streben, Federklappe und Reflektorhalter versehen, Plasteschutzbleche von XLC (SKS bietet keine 20“ an, der einzige ernsthafte Konkurrent war Zefal, fiel aber wegen noch schlechterer Befestigung der Streben aus), ein einfacher 40mm/30° Vorbau, ein gerader Lenker, Kindergriffe, Kinderpedalen (Es gibt keine guten! Die teuersten kosten 5,10€!), eine Rennradsattelstütze von PRO, da das beste Preis-Gewichts-Verhältnis und ein besserer Kindersattel (der Teuerste musste es sein, 9,90€…). Als alltagstaugliches Gimmick bekam der Gepäckträger noch ein Toplight flat permanent, also ein reines Batterierücklicht, welches am Rad bleiben kann.
Die Übersetzung rechnete ich auch auf die zu erwartende Geschwindigkeit (nicht über 15km/h) runter und kam auf ein 38er Kettenblatt (Stronglight, ohne Schalthilfen und günstig) und ein 18er Ritzel aus dem Singlespeedbedarf.

Probleme bereitete noch der Kettenschutz. Aufgrund der Rahmengeometrie und des kurzen Hinterbaus wollte ich einen besseren Erwachsenenkettenschutz anpassen. Der SKS- Chainguard machte auch einen passablen Eindruck, war aber einfach nicht schleiffrei anpassbar (in mehr als einer Stunde Arbeit mit Säge, Feile, Seitenschneider…). Also wurde ein einfacher Hebie für die entspechende Zähnezahl genommen, gekürzt und 10 Minuten später war alles gut.

Am 29.6. war es dann soweit: das Rad war fahrbereit, der große Moment an der Waage:

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Ziel erreicht! Deutlich unter 10 Kilo!

Da eine Probefahrt wenig brachte, war der Moment der Wahrheit Paulas erste Fahrt, am 01.07. nach dem Frühstück. Sie kam gut aufs Rad, fuhr los, kippelte kurz und grinste: es fuhr einfach nur gut! Ein erlösender Moment.

Nachtrag/ Rückschau

Paula hat sich mittlerweile gut 500km auf dem Rad bewegt. Die Übersetzung erwies sich als guter Kompromiss: das Anfahren bereitete keine Probleme, sie konnte relativ schnell fahren und kam Steigungen problemlos hoch (Helfenberger Straße, vom Elberadweg kommend, das Puky musste geschoben werden).
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Im November gingen aber die ersten Probleme los: sie fuhr stehend, weil sie im Sitzen das Gefühl hatte, nicht schnell genug treten zu können. Also kurz Grundlagenforschung betrieben, bedeutet das Kind beim Fahren beobachtet. Nach einer Woche stand fest: sie könnte schneller und problemloser fahren, wenn eine Schaltung vorhanden wäre. Eigentlich war zu Weihnachten eine feste Beleuchtung eingeplant (dank Subventionierung seitens der Großeltern einen SON 20R und ne einfache Lumotec N, Lampen gehen an Kinderrädern einfach mal kaputt und bei der Höhe des Scheinwerfers reicht die Lichtleistung), aber da das Kindeswohl vorgeht wurde bei einem größeren Onlineauktionshaus ein Schaltwerk erworben (RD-M735, kurzer Käfig, der Papa braucht was zum Freuen), eine 7fach Kassette 12-28 und ein einfacher Drehschalthebel gekauft und kurzfristig angebaut. Das Kind ist sehr zufrieden, schaltet meist auf Anweisung, zunehmend selbstständig (nur einen Gang, nur im Fahren, zweimal die Kette runter hat das Lernen sehr beschleunigt) und diesen Winter gibt’s eben noch Batteriebeleuchtung.

Bis zum Schulanfang nutzte sie übrigens Papas Lowridertasche für den Kindergarten, weil sie die cooler fand als ihren Rucksack  🙂

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Alles in Allem ist ein nettes Kinderrad herausgekommen, das sehr viel Zeit, und leider auch Geld, gekostet hat. Aber Paula fährt mittlerweile einfach schnell und sicher, sie kann ihr Rad selbst tragen, wenn es nötig ist und hat einiges vom Aufbau mitbekommen, ist sich also bewusst, dass hinter ihrem Rad viel Arbeit steckt. Und so geht sie damit auch um.

Auch auf Reisen hatte sie schon ihren Spaß mit dem Rad.

Besser machen hätte ich im Nachhinein einiges, so gibt es z.B. von Faltradherstellern bessere und günstigere Gepäckträger, kurz nach Erwerb der Bremshebel kamen durch MTB Cycletech initiiert bessere auf den Markt, die Schutzbleche sind auch nicht der Weisheit letzter Schluss…

 

Neuigkeit:

Paula wird dieses Jahr 8, ihre Schwester will das Velotraum….

ein neues Rad muss her:-)

Einzige Bedingung der Tochter: grüner Rahmen mit Blümchen…

Der Papa hat das neue Grundgerüst , die Vorbereitungen laufen.